STERN VON BETHLEHEM ILLIG D'OCCHIEPPO

Verformungstendenzen in der Überlieferung der Geschichte vom Stern von Bethlehem

von Franz Krojer

Der Stern von Bethlehem fesselt seit langem nicht nur Gläubige und Künstler, sondern auch manche Wissenschaftler, die damit das Geburtsjahr des Jesus von Nazareth zu ermitteln glaubten. Es könnte ein Komet, vielleicht auch der Halleysche, gewesen sein oder eine Supernova. Weiteres zu den verschiedenen Thesen lese man bei Herrmann nach.

Die bekannteste These stammt vom österreichischen Astronomen d'Occhieppo, der unter anderem Überlegungen von Johannes Kepler wieder aufgriff und verfeinerte: die dreifache Konjunktion von Jupiter und Saturn in den Fischen im Jahr 7 v. Chr. sei für die babylonischen Astrologen (Magier, Chaldäer) so bedeutsam gewesen, dass sie sich auf den Weg nach Jerusalem und schließlich nach Bethlehem machten. D'Occhieppo hat dazu die entsprechende Passage aus dem Matthäus-Evangelium im Original untersucht und eine möglichst wortgetreue Übersetzung vorgelegt. (d'Occhieppo, Seite 9f) Der Matthäus-Text sei so reich an antiken astronomischen Begriffen und Differenzierungen, dass dazu das einfache "Motiv" aus dem alttestamentarischen Buch Numeri 24,17 ("Ein Stern geht auf aus Jakob...") als Vorlage nicht ausreiche, sondern sogar eine besondere babylonische Überlieferung als "Sonderquelle" angenommen werden müsse. (ebd., Seite 53)

Jupiter-Saturn-Konjunktionen spielten in der antiken Astronomie und Astrologie eine herausragende Rolle - alle 20 Jahre begegnen sich die beiden Planeten, nach 60 Jahren ungefähr wieder im selben Sternbild -, so dass diese Konjunktionen als Basis für die Berechnung des "großen Jahres" (alle Planeten in einer Reihe) und als Zeichen epochaler Veränderungen galten; z.B. "versuchten gewisse hellenistische Astrologen, durch Berechnungen von Jupiter-Saturn-Konjunktionen das Datum der Sintflut zu bestimmen." (Waerden, Seite 246)

Insofern könnte es durchaus Absicht des Verfassers des Matthäus-Evangeliums gewesen sein, die Geburt des Messias und das neue Fische-Zeitalter mit der großen, dreimaligen Jupiter-Saturn-Konjunktion in Verbindung zu bringen. Aber ist damit auch schon der Geburtstag oder wenigstens das Geburtsjahr des Jesus von Nazareth ermittelt? Schauen wir uns zunächst einmal an, welches astronomische Ereignis sich bei seinem Tod abgespielt haben soll.

Dazu berichten die Evangelien: "Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde." (Matthäus, 27,45; fast gleichlautend auch Markus 15,33) Bei Lukas heißt es ausführlicher (23,44): "Und es war schon um die sechste Stunde, da kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, weil die Sonne ihren Schein verlor". Bei der Überlieferung durch Lukas wird dabei nach d'Occhieppo sogar der damalige Fachausdruck für "Sonnenfinsternis" verwendet, wenngleich d'Occhieppo vermutet, dass diese Formulierung erst seit "etwa um die Mitte des zweiten Jahrhunderts" gebräuchlich wurde. (d'Occhieppo, Seite 160)

Die Überlieferung durch Lukas besagt somit, dass am Todestag des Jesus eine Sonnenfinsternis stattfand, und man könnte nun heraus zu bekommen versuchen, wann dies genauer war. Aber es gab in dem "fraglichen Zeitraum nur eine einzige in Palästina eindrucksvolle Sonnenfinsternis am 24. November des Jahres 29 n. Chr." (d'Occhieppo, Seite 160)

Starb Jesus also im November des Jahres 29 n. Chr.? Überliefert ist jedoch auch, dass es die Zeit des Passah-Festes war, als Jesus gekreuzigt wurde, und da ist Vollmondzeit, kein Neumond, wie es für eine Sonnenfinsternis nötig wäre. "Entgegen der manchmal geäußerten Ansicht, dass die dreistündige Dunkelheit während des Todeskampfes Jesu am Kreuz als Entscheidungshilfe für Jahr und Datum dienen könnte, muss vor allem festgestellt werden, dass eine astronomisch erklärbare Sonnenfinsternis von so langer Dauer unmöglich ist. Ferner muss der 14. Nissan auch bei etwas fehlerhafter Bestimmung des Neulichts immer nahe der Vollmondphase fallen, bei der allenfalls eine Mondes- aber keine Sonnenfinsternis eintreten kann." (ebenda, Seite 160)

Die Finsternis des Jahres 29 n. Chr. kann es also nicht gewesen sein - außer wir wollten die ganze übrige Leidensgeschichte Jesu in Frage stellen. Wären die Begleitumstände (Passah-Fest) bei der Leidensgeschichte Jesu aber unbekannt, dann gäbe es sicherlich bei vielen die feste Überzeugung (und einige Literatur), dass Jesus im Jahr 29 n. Chr. starb. Wer die Nähe zum Passah-Fest beibehalten und trotzdem eine Finsternis haben möchte, der muss eben nach einer Mondfinsternis suchen - und wird fündig: "3. Apr. 33 Kirchliches Datum für die Mondfinsternis am Tag der Kreuzigung Christi (14. Nissan 33)". (Deißmann, Seite 30)

Bei der Überlieferung der Sonnenfinsternis durch Lukas handelt es sich um eine sogenannte Verformungstendenz (Demandt), dass nämlich Erzähler und Geschichtsschreiber astronomische mit großen geschichtlichen Vorgängen zu synchronisieren versuchen. "Das Bestreben, eine ungefähre Gleichzeitigkeit zwischen Finsternissen und historischen Vorgängen in genaue Gleichzeitigkeit zu verwandeln, erweist sich somit ebenfalls als Verformungstendenz. Sie ist innerhalb der antiken Literaturgeschichte auf keine Zeit beschränkt, begegnet von Herodot bis über Gregor von Tours hinaus in den verschiedenen historiographischen Gattungen bei Griechen und Römern, 'Heiden' und Christen." (Demandt, Seite 41) Weitere Verformungstendenzen nach Demandt sind: Übertreibung der Finsternisse hinsichtlich Intensität und Dauer sowie ihrer Anzahl oder z.B. die "Tendenz, irgendwelche Verfinsterungen zu Eklipsen zu typisieren". (ebenda, Seite 22) Generell ist allen Himmelszeichen, ob nun Sonnen- oder Mondfinsternissen, Kometen oder Sternkonstellationen, zunächst zu misstrauen, wenn diese bei der Geburt oder dem Tod einer großen Person oder bei wichtigen historischen Ereignissen, wie etwa Schlachten, genannt werden.

D'Occhieppo sagt selbst (Seite 160), dass die Sonnenfinsternis später zur Leidensgeschichte Jesu im 2. Jahrhundert hinzukam, "nachdem das Geschichtswerk des Phlegon von Tralles (heute bis auf geringe Reste verloren) offenbar ohne Angabe der Jahreszeit an jene Novemberfinsternis des Jahres 29 n. Chr. erinnert hatte." (Ähnlich auch Demandt, Seite 34f.)

Das astronomische Ereignis beim Tode Jesu hat also gar nicht stattgefunden, vielmehr war es wahrscheinlich eine "Sonderquelle", nämlich das Geschichtswerk des Phlegon, das von einer Finsternis berichtete, und das dann der Verfasser des Lukas-Evangeliums mit der Kreuzigung synchronisierte. Ähnlich dürfte der Fall aber auch bei der Geburt Jesu liegen - auch hier ging eine "Sonderquelle", nämlich ein Bericht babylonischer Astrologen, in die Geburtsgeschichte ein, jedoch erwägt d'Occhieppo nicht einmal, dass auch hier eine Synchronisierung stattgefunden haben könnte.

Gehen wir einmal davon aus, dass tatsächlich der Nachweis geführt worden wäre, dass es sich bei der Matthäus-Passage wirklich um die detaillierte Schilderung der großen Konjunktion des Jahres 7 v. Chr. gehandelt haben könnte. Dagegen gibt es zwar auch Einwände, deren wichtigster hier zumindest genannt werden soll. D'Occhieppo beharrt nämlich darauf, dass in dieser Bibelstelle sehr genaue astronomische Bezeichnungen vorkämen. Andererseits ist jedoch nur von einem Stern die Rede, nicht jedoch von einer Konstellation oder von Planeten, obwohl es auch hierfür die entsprechenden Fachausdrücke gab. (Vgl. Herrmann, Seite 35) Dieser Widerspruch muss irgendwie "weggedeutet" werden, während andere dies zum Anlass nehmen, tatsächlich den "Stern" ernst zu nehmen und zu fragen, was das für ein besonderer Stern gewesen sein könnte - eben z.B. eine Supernova.

Weiter mit d'Occhieppo, dessen Interpretation des Sterns von Bethlehem trotz solcher Einwände von vielen noch immer als die schlüssigste angesehen wird.

"Die wichtigsten positiven Ergebnisse wollen wir nochmals in knappen Sätzen zusammenfassen:
1. Form und Inhalt der Perikope Matth. 1,1-12 lassen einen vom Evangelisten nur wenig veränderten Eigenbericht der Magier als Sonderquelle vermuten.
2. Eine sachgerechte Auffassung der von jeher vielfach missverstandenen Aussagen über den Stern ergibt sich aus der wiedergewonnenen Kenntnis der spätbabylonischen Astronomie. Es bleibt keine Spur eines legendären Restes übrig.
3. Abendaufgang und Stillstand des Sternes, die die Perikope besonders hervorhebt, können mit zwei in Keilschrifturkunden datumsgetreu gesicherten Phasen des Planeten Jupiter identifiziert werden. Deren Vorausberechnung und zugleich die Einsicht in die innerhalb vieler Jahrhunderte unwiederholbare Seltenheit der Begleitumstände waren damals nur den wenigen überlebenden Astronomen in Babylon möglich.
4. Die Deutung dieses Himmelsvorganges in dem von den Magiern des Evangeliums behaupteten Sinne ist aus den in der babylonischen Astrologie nachweisbaren Zuordnungen logisch ableitbar. Eine gewisse Kenntnis biblischer Prophezeiungen sowie historische Analogieschlüsse und politische Erwägungen konnten die Magier in ihren Erwartungen bestärken.
5. Die astronomische Datierung des Magierzuges fällt in den Bereich der historisch zulässigen Zeitgrenzen.
6. Nach allem ist die besprochene Perikope nicht als Erzeugnis freier literarischer Erfindung oder Ausschmückung, sondern mit Bestimmtheit als historisches Dokument zu bewerten." (d'Occhieppo, Seite 123)

Ich habe die "positiven Ergebnisse" vollständig zitiert, damit nicht der Eindruck entsteht, dass nur durch meine Interpretation eine gewisse Unvollständigkeit zu Stande kommt, die da lautet: und wo ist das "positive Ergebnis", dass das Geburtsjahr Jesu tatsächlich mit der großen Jupiter-Saturn-Konstellation zusammengefallen ist oder dass die Magier, sofern der Zug überhaupt stattgefunden hat, tatsächlich den später Gekreuzigten fanden? Für diese Fragen hat d'Occhieppo kein Problembewusstsein entwickelt - was aber auch für die anderen alternativen Versuche gilt, einen Stern von Bethlehem zu identifizieren, um damit das Geburtsjahr Jesu zu ermitteln.

Man kann durchaus zugestehen, dass es eine "Sonderquelle" babylonischer Astrologen gegeben haben könnte, die in die Geschichte von der Geburt Jesu einfloss, hat damit aber nur gezeigt, dass es Absicht des Verfassers des Matthäus-Evangeliums war, dieses besondere Himmelsereignis mit der Geburt des Messias zu verbinden - nicht anders als beim Tod Jesu auch, nur dass bei der Geburt kein offensichtlicher astronomischer Widerspruch vorkommt. Solange nicht weitere Quellen hinzukommen, bleibt es dabei, dass zwar der Jesus von Nazareth wahrscheinlich vor dem Jahr 4 v. Chr. geboren wurde (wegen Herodes), aber noch so viele astronomische Deutungen des Sterns von Bethlehem werden keine weiteren Aufschlüsse über sein genaueres Geburtsjahr ermöglichen. Selbst im günstigsten Fall - der Stern ist mittels der Überlieferung identifiziert, z.B. als Jupiter-Saturn-Konjunktion - muss davon ausgegangen werden, dass nur eine Synchronisierung durch den Verfasser des Evangeliums stattgefunden hat, was wir ihm bei diesem heils- und weltgeschichtlich so außerordentlichen Ereignis auch gar nicht übel nehmen wollen.

Vielerorts findet man heute Aussagen wie: "Nach heutigem Stand der Erkenntnis lag die Geburt Christi im Jahr 7 v. Chr." (Luthardt, Seite 3) Wer sich aber bewusst ist, dass Verformungstendenzen in der Überlieferung antiker Himmelsereignisse systematisch bei Tod und Geburt großer Personen vorkommen, wird von diesem Erkenntnisstand kaum beeindruckt sein.


Was aber hat der Stern von Bethlehem mit dem Thema "Illig" zu tun? Wenig, gebe ich gerne zu. Allerdings tun sich selbst hier merkwürdige Zusammenhänge auf. Herrmann berichtet nämlich in seinem "Stern von Bethlehem"-Buch von einem "unerwarteten Zuspruch" (Seite 77f.) Zunächst: Herrmanns Bilanz der "Stern von Bethlehem"-Forschung ist auch niederschmetternd: "Die Mühen, einen realen Stern von Bethlehem ausfindig zu machen, sind Denkspiele ohne Aussicht auf Erfolg." (Seite 84) Ähnliches scheint Herrmann auch in einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung geschrieben zu haben, und "dieser Artikel fiel auch in die Hände von Heribert Illig. Wer hätte gedacht, dass sich noch ein gänzlich neuer Aspekt unseres Themas eröffnen könnte, dass wir vielleicht in einer ganz falschen Zeit nach dem Stern gesucht haben?
Illig ließ mich wissen, dass die Suche nach einem 'Stern der Weisen' um das Jahr 7 v. u. Z. auch nach seiner Auffassung ein völlig aussichtsloses Unterfangen sei, doch aus einem mir bis dahin völlig unbekannten Grund." (Seite 77) Dieser Grund dürfte dem Leser der bisherigen Texte schon bekannt sein und soll deshalb nicht noch einmal in den Worten Herrmanns wiederholt werden; man sieht aber, dass selbst die "Stern von Bethlehem"-Forschung durch Illigs Phantomzeit ganz neue Impulse bekäme.

Literatur

Deißmann, Marieluise (Hrsg.): Daten zur antiken Chronologie und Geschichte, Stuttgart 1990 (Reclam).

Demandt, Alexander: Verformungstendenzen in der Überlieferung antiker Sonnen- und Mondfinsternisse, Mainz 1970.

d'Occhieppo, Konradin Ferrari: Der Stern der Weisen, Geschichte oder Legende?, Wien/München 1977 (2. Auflage).

Herrmann, Dieter B.: Der Stern von Bethlehem, Berlin 1998 (zweite Auflage).

Luthardt, Rainer: Sonneberger Jahrbuch für Sternfreunde 2000, Thun und Frankfurt am Main 2000.

Waerden, B. L. van der: Die Astronomie der Griechen, Darmstadt 1988.



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