Die Schlotbarone von Populonia
Email vom 15.2.2002:
Hi *****,
In dem Buch "Land der Etrusker" von Karl Lukan aus dem Jahr 1962 habe
ich gestern auf Seite 44 gelesen:
"Populonia ist heute ein kleines Dorf auf einem Hügel oberhalb der Bucht
von Baratti mit etwa zwei Dutzend Häusern und einer zweihundert Meter
langen Hauptstraße, die schnurgerade vom Stadteingang zum Stadtende
führt. Es gibt kein einziges Geschäft in diesem Ort, nicht einmal eine
Bar oder Weinschenke. Es ist zwar bewohnt, doch die geschlossenen
Fensterläden und die meist menschenleere Straße lassen ihn ausgestorben
erscheinen... 'la citta morte'."
Irre, wie sich die Zeiten geändert haben! Heute wuerde man fasst
schreiben: "hier gibt es kein einziges Haus, das nicht wenigstens eine
Bar, einen Souvenirladen oder ein Museum hätte."
Interessant ist aber auch, was sonst über die damaligen Schlotbarone
geschrieben steht:
"Zur Zeit der Etrusker war das von mächtigen Mauern umgebene Populonia
eine reiche Hafen-, Handels- und Industriestadt, in deren Metallwerken
zuerst Kupfer aus den Minen der Monti Metalliferi und später Eisen aus
Elba verarbeitet wurde. Die Industrieanlagen befanden sich zum Teil am
Fuße des Hügels direkt am Meer, doch wurden auch bei Campiglia Marittima
Reste von etruskischen Hochöfen gefunden. Als die Schlackenberge bei
Populonia immer höher und höher wuchsen, hatten die etruskischen
Industrieherren - schon um 400 v. Chr.! - weder religiöse noch
sentimentale Bedenken, diese auch über den Friedhof ihrer Vorfahren
auszubreiten. Damit verschwanden für mehr als zwei Jahrtausende die
mächtigen Kuppelgräber aus dem 7. und 6. Jh. unter den Schlackenhalden.
Die antiken Eisenverhüttungsmethoden waren aber gegenüber unseren von
heute noch sehr unvollkommen. Nach dem ersten Weltkrieg begann deshalb
eine Firma, die Schlackenhalden der Etrusker abzutragen und das Material
mit modernen Methoden erst vollends auszuwerten. Dabei kamen viele der
verschütteten Kuppelgräber wieder zum Vorschein. Diese einmalige Art von
Ausgrabung ist bis heute noch nicht abgeschlossen; erst 1957 wurde ein
richtiges Totenhaus aus Travertinblöcken (6. Jh. v. Chr.) freigelegt,
das zu den eindrucksvollsten Grabbauten der Etrusker zählt. Die
wiedergefundenen Gräber von Populonia sind von rostbraunen
Schlackenhalden umgeben, zu denen das blaue Meer im Hintergrund einen
pittoresken Kontrast bildet. Vor diesen Kuppelgräbern (das größte hat
einen Durchmesser von mehr als dreißig Metern) möchte man gerne an die
Theorie glauben, daß die Etrusker ein altes Volk aus dem Mittelmeerraum
gewesen seien, das auf italischem Boden eine neue Heimat fand; denn man
spürt, daß solche monumentale Grabbauten auch schon zu Zeiten der
Etrusker eine viel ältere Tradition gehabt haben müssen. Ein jüngst
neben einem Grab ausgegrabener Prunkwagen samt den Skeletten zweier
Pferde erinnert ebenfalls an alte orientalische Bestattungsweisen. Tritt
man in eine der Grabkammern ein, so fallen vor allem die aus Stein
geschnittenen Totenlager auf, die an die schweren gedrechselten
Schlafzimmerbetten des 19. Jhs. denken lassen, - jedenfalls berührt es
den Besucher von heute seltsam, daß anscheinend auch die etruskischen
Industrieherren von Populonia ähnlich protzige Formen liebten wie die
Menschen der sogenannten 'Gründerzeit' im vergangenen [19.] Jahrhundert,
dem Beginn des modernen Industriezeitalters."
(Franz Krojer)